Adelbert von Chamisso
Du Ring an meinem Finger,
mein goldenes Ringelein,
ich drücke dich fromm an die Lippen,
dich fromm an das Herze mein.
Ich hatt‘ ihn ausgeträumet,
der Kindheit friedlich schönen Traum,
ich fand allein mich, verloren
im öden, unendlichen Raum.
Du Ring an meinem Finger,
da hast du mich erst belehrt,
hast meinem Blick erschlossen
des Lebens unendlichen, tiefen Wert.
Ich will ihm dienen, ihm leben,
ihm angehören ganz,
hin selber mich geben und finden
verklärt mich in seinem Glanz.
Du Ring an meinem Finger,
mein goldenes Ringelein,
ich drücke dich fromm an die Lippen,
dich fromm an das Herze mein.
Das Leben der junge Frau soll eine ganz neue Wendung nehmen! Dankbar, fast ungläubig bestaunt sie den Ring an ihrer Hand als sichtbares, greifbares Zeichen der untrennbaren Verbindung mit dem Geliebten. Die Unsicherheit und Ungewissheit des Erwachsenwerdens mündet in die Stabilität einer innigen Lebensgemeinschaft.
Wer ahnt, was er verspricht, wenn er vor dem Traualtar steht? Man möchte alles geben, den Geliebten glücklich machen und selbst aufgehen in erfüllter Zweisamkeit. Das Grau des Alleinlebens soll sich verwandeln in einen Rausch der Gemeinsamkeit, der Liebe, des Verständnisses, des ungetrübten Glückes.
„O wie wunderbar, nichts ist so, wie es war durch ein einziges Wort – Heirat!
Aus dem Erdgeschoss wird ein Märchenschloss durch ein einziges Wort – Heirat!“ (Cabaret)
Bis zu meinem 21. Lebensjahr bekam ich neun Heiratsanträge, was sowohl mich als auch mein Umfeld verblüffte, denn weder war ich besonders attraktiv, noch war für mich nachvollziehbar, wie es zu diesen Anträgen kam. Die Themen Hochzeit und Ehe hatten für mich daher lange Zeit etwas irritierend Irreales.
1978, Familienurlaub in Hammamet, Tunesien. Meine Eltern haben einen Strandurlaub in exotischer Umgebung gebucht, die arabische Kultur ist uns allen fremd.
Aus unserem weißgetünchten Bungalow blicken wir aufs Wasser, der Ort ist per Fußmarsch am Strand entlang erreichbar. Kamele in der Abendsonne, Bazar, Teppiche, getöpferte Gefäße, fremde Früchte und Gewürze, weiß verschleierte Frauen und ein blondes, zwölfjähriges Mädchen.
An mir ist noch gar nichts dran, aber überall falle ich auf mit meinen hellen Haaren und der blassen Haut – für arabische Verhältnisse bin ich offensichtlich im besten Alter. Wenn wir durch die schmalen Gassen gehen, schaut man mir nach, und wo wir auch hinkommen, aus den Geschäften heraus, im Restaurant, sogar im Hotel wird mein Vater auf meine Verfügbarkeit als Ehefrau angesprochen. Ein junger Mann trägt mich auf den Schultern und schlägt vor, ich solle mit 18 wiederkommen und seine Frau werden. Andere haben es eiliger, ein Mann bietet 150 Kamele für mich. Mein Vater lehnt dankend ab und fragt grinsend: „Was bieten Sie denn für meine Frau?“ – Das Angebot liegt bei zehn Kamelen.
Was für eine Demütigung für meine äußerst attraktive, aber dunkelhaarige und nicht mehr jungfräuliche Mutter! Sie holt sich aber umgehend Bestätigung bei einem allein reisenden Hotelgast, der uns noch monatelang mit Anrufen belästigt, in welchen er mich oder meinen Bruder bittet, meine Mutter zu fragen, ob diese noch Wurst brauche.
Am Ende der Reise komme ich mit sechs Heiratsanträgen und dem Kamel-Angebot im Gepäck zurück. Mir kommt das Erlebte wie ein Spiel vor, und ich prahle in meiner Klasse mit meinen sensationellen Erfolgen als „Frau“.
Mit sechzehn fahre ich auf ein politisches Seminar, auf welchem man versucht, angehende Studenten über politische Systeme und die zunehmende Radikalisierung der Hochschulparlamente aufzuklären. Um mitfahren zu dürfen, habe ich mich als Achtzehnjährige ausgegeben. Dort begegnet mir Sepp aus dem tiefsten Franken, ein großer, ungeschlachter Mann von 27 Jahren, schlichten, temperamentlosen Gemüts. Mit ihm finde ich mich am letzten Tag des Seminars auf einem Spaziergang wieder, ohne dem viel Bedeutung beizumessen.
Kaum wieder zu Hause, erreicht mich ein kurzer Brief:
„Ich habe mich in Dich verliebt, können wir uns am …. (Jahrestag des Spazierganges) in O. (Ort des Seminars) verloben.“
Plötzlich verstehe ich die Redewendung „mich trifft der Schlag“ – wie kann das angehen, habe ich den Mann provoziert? Wodurch? Wie soll ich jetzt reagieren? Ich versuche es mit einer Nachfrage, wie dieser Mensch auf die Idee kommt, dass ich mich mit ihm verloben könnte? Die Antwort kommt prompt: Auf dem Spaziergang hat Sepp mir dargelegt, was es für ihn bedeutet, Christ zu sein – Liebe zur Natur, zu den Menschen, zur gesamten Schöpfung, und ich habe spontan geantwortet: „Dann bin ich auch ein Christ!“ – Den Rest kann er nicht erklären. Es folgt der detaillierte Plan für einen Besuch zum besseren Kennenlernen: Essen mit der Familie, Gemeinsamer Spaziergang, nachmittags ist frei, aber ich kann und möchte diesen Menschen nicht heiraten.
Zwanuigjährig absolviere ich meine Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule. In Musiktheorie prüft mich ein älterer Professor. Er lässt mich Kadenzen spielen und freut sich, dass meine Fähigkeiten die üblichen Leistungen der singenden Studienanwärter übersteigen. Als mir ein „Trugschluss“ gelingt, witzelt er: „Ach, betrügen kann sie auch schon!“
Schließlich habe ich alles gezeigt, was er von mir hören will, da stellt er mir unvermittelt eine letzte Frage: „Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen jetzt einen Heiratsantrag mache?“ Seiner Kollegin fällt die Kinnlade herunter, und im ersten Moment bin ich ebenfalls überrumpelt, aber dann fällt mir eine schlagfertige Erwiderung ein: „Sie wissen doch, dass ich betrüge!“ Da komme ich mir fast schon routiniert vor im Ablehnen von Heiratsanträgen.
Was wollen diese Männer, was stellen sie sich vor? Das kann ich überhaupt nicht einordnen. Keinem bin ich nah gekommen, keiner von ihnen ist ein ernst zu nehmender Kandidat für eine Lebensverbindung, vor allem nicht damals schon. Einerseits bin ich stolz auf meine „Erfolge“, andererseits sind sie mir peinlich, entbehren sie doch jeglicher realistischer Grundlage. Dieses „Schockverlieben“ ist sehr verunsichernd, vor allem, weil ich bislang nur einige Schwärmereien, mehr oder weniger harmlose Flirts und Knutschereien erlebt habe und mir die Abgründe der menschlichen Beziehungen noch völlig fremd sind.
Glücklicherweise komme ich doch noch zu einem ernstzunehmenden Antrag. Christian und ich sind seit dreieinhalb Jahren ein Paar, seit einem Jahr leben wir in einer gemeinsamen Wohnung, unsere Familien verstehen sich blendend, und wir ergänzen uns tadellos – er als angehender Organist und Musiklehrer und ich als Sängerin mit dem Ziel, im Hamburger Rundfunkchor und nebenbei Konzerte zu singen.
Wir lieben es, zu lesen und ins Kino zu gehen, unsere Urlaube verbringen wir gemütlich an der Nordsee – das klingt einfach perfekt!
Und so zieht Christian mich am Morgen des ersten Weihnachtstages 1991 auf seinen Schoß und fragt mich die bekannte Frage, allerdings erst nachdem ich auf seinen Wunsch hin mein kitschiges Sweatshirt mit Weihnachtsbaum und applizierten bunten Satin-Kugeln gegen einen schlichten blauen Pullover getauscht habe. Da ich spontan in Tränen ausbreche, muss er kurz auf meine Zusage warten, dann überrascht er mich mit einer Kette, die ich einige Tage zuvor in einem indischen Laden bewundert hatte.
Am selben Abend sind wir bei Christians Familie und verkünden die große Neuigkeit. Umgehend werden auch meine Eltern angerufen, dazu geholt und informiert. Die allgemeine Freude ist gewaltig, und wir stoßen alle zusammen auf das bevorstehende große Ereignis an, denn wenn der Entschluss nun gefasst ist, soll die Hochzeit auch bald stattfinden.