25. Dezember 2024
Ein unruhiges, beunruhigendes Jahr geht seinem wohlverdienten Ende entgegen, und es ist zu befürchten, dass 2025 nicht besser wird. Da bleibt uns das „Lustig, lustig, Trallalalala“ zuweilen im Halse stecken.
Advent und Weihnachten – dass ist der Wunsch nach Besinnlichkeit und die Sehnsucht nach alten Traditionen.
Weihnachten befürchten wir aber auch, in Kitsch abzugleiten. Mit Wonne machen wir uns über Rituale lustig, die zu Klischees verkommen sind.
Das funktioniert jedoch nur, wenn Traditionen noch bekannt sind und gepflegt werden.
Ups, wir waren seit dem letzten Weihnachtsfest nicht mehr in der Kirche – aber Heiligabend naht, da drängen wir uns mit 2000 Anderen durch die engen Pforten des Michels – vorn rein, hinten raus, fünf Weihnachtsoratorien an zwei Tagen, Gottesdienste am Fließband – Hauptgeschäftszeit auch für die Gemeinden! Die Kirche als Kulisse für stimmungsvolle Feste, Weihnachten als Event zwischen Halloween und Valentinstag.
Und, man muss es leider so martialisch ausdrücken: Weihnachten als Geschenkeschlacht.
DHL und Amazon liefern in drei Schichten, leider kommt die Briefpost nur noch alle paar Tage. Hermes-Boten eilen wie der gleichnamige geflügelte Gott im Laufschritt von Tür zu Tür, Pakete abwerfend. Derweil stehen die Buden des Weihnachtsmarktes vor zugeklebten Schaufenstern.
Familien, die beschließen, sich nichts zu schenken, schaden der Wirtschaft – man befürchtet schon jetzt den negativen Umsatzreport des Weihnachtsgeschäftes.
„It’s the economy, stupid!“ – Oder gibt es da vielleicht doch noch etwas Anderes?
Weit verbreitet ist die Angst vor Zugewanderten, die in ihren Religionen tief verwurzelt sind. Das jüdische Versöhnungsfest Jom Kippur ist ein Ruhe- und Fastentag, der Ramadan hat im Islam einen hohen Stellenwert.
Was haben wir dem entgegenzusetzen? Unsere Fastenzeiten, die der Besinnung dienen und auf die großen Feste vorbereiten sollen, haben wir einem hemmungslosen Konsum geopfert: die Passionszeit und den Advent.
Zur Erinnerung: Nein, Weihnachten beginnt nicht vor dem Totensonntag, und Ostern keinesfalls vor Karfreitag.
In den eigentlichen Freudenzeiten, den 50 Tagen bis Pfingsten und den Tagen bis Epiphanias am 6. Januar, sind Ostern und Weihnachten zumeist schon erledigt. Der Wunsch nach Spiritualität wird durch die Rauchrituale der Raunächte befriedigt.
Aber was bedeutet uns dann die sogenannte „Deutsche Leitkultur“?
Netflix und YouTube, Instagram und Tiktok? Oder vielleicht Feuerzangenbowle und Sissi, um etwas Deutsches zu nennen?
Ganz archaisch ist Weihnachten ein Wendepunkt im Jahreskreis, der die Rückkehr des Lichts ankündigt.
Die Anthropologin Margaret Mead bezeichnet als erstes Anzeichen von Zivilisation nicht den Fund von Waffen oder andere praktische Erfindungen, sondern einen 30000 Jahre alten verheilten Knochen. Ein verheilter Knochen, das bedeutet: Jemand muss sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um eine verletzte Person gesorgt haben. Jemand muss ihr zu essen und zu trinken gegeben haben, damit sie in Ruhe gesund werden konnte.
Das erste Anzeichen menschlicher Kultur, lange vor der Entstehung von Staaten oder Religionen, ist also Mitgefühl.
Ein paar Münzen oder Scheine im Klingelbeutel, Altkleider für Geflüchtete, Spenden, die wir von der Steuer absetzen können? Da geht doch bestimmt noch mehr! Nein, nicht noch mehr Geld!
Den Kindern der Wellingsbüttler Singschule erkläre ich gern, was Demut und Heil bedeuten, und was es heißt, auserkoren zu sein, damit sie nicht nur leere Silben vor sich hin singen.
Und da waren doch diese alten Begriffe: Gnade! Barmherzigkeit!
Wie wäre es, wenn wir einsähen, dass alle Menschen auf ihre Weise versuchen, glücklich zu sein, dass sie sich wünschen, mit ihren Lieben sicher und in Frieden zu leben? Wie wäre es, wenn wir wahrnähmen, wie schwer es uns bisweilen fällt, die Meinungen Anderer zu respektieren, ja, sie auch nur anzuhören? Wie wäre es, wenn wir uns unsere kleinlichen Befindlichkeiten ein- und Anderen ihre Verletzlichkeit zugestünden, wenn wir die gute Absicht hinter dem, was uns missfällt, erkennen und anerkennen könnten, dass auch unser Gegenüber Sorgen und Ängste hat?
Das könnte doch unser ganz persönlicher kleiner Beitrag zum Frieden sein.
Wenn wir es nicht schaffen, unsere vergleichsweise lächerlichen Nöte zurückzustellen für ein freundliches Miteinander, wie soll es dann Anderen gelingen, ihre Konflikte beizulegen, wenn sie Gewalt in unvorstellbarem Ausmaß erlebt, selbst unter Gewalt gelitten oder gar ihre Lieben durch Anschläge, Folter oder Krieg verloren haben?
Es gibt Menschen, die ihre Köpfe für diese Konflikte hinhalten, diese Menschen nennt man Politiker. Wie wäre es, wenn wir einsähen, dass auch sie Umwege gehen, dass ihnen nicht alles gelingen kann?
Uns nicht politisch zu engagieren, uns aber über die zu erheben, die sich bemühen und dabei Fehler machen, ist billig. Ja, sie verhalten sich bisweilen auch schäbig. Darüber dürfen wir uns aufregen. Wenn wir uns aber an jedem unangemessenen Grinsen, an jedem nicht bis ins Letzte durchdachten Vorhaben, an jedem missglückten Plan, an jeder Meinung, die nicht der unseren entspricht, gnadenlos und unbarmherzig abarbeiten – dann haben wir die Weihnachtsbotschaft vielleicht noch nicht verstanden.
Wie wäre es mit ein wenig mehr Demut und Dankbarkeit, und wie wäre es, wenn wir uns bemühten, wenigstens in unserem ganz persönlichen Umfeld Gnade zu üben und Frieden zu leben, damit die Welt ein bisschen heller und heiler wird?
Vielleicht können wir dann als kleiner, aber doch nicht unbedeutender Teil eines Großen Ganzen über den 26. Dezember hinaus ein wenig Weihnachten verbreiten.