6. August 2024
(Philipp Otto Runge (* 23. Juli 1777 in Wolgast; † 2. Dezember 1810 in Hamburg), veröffentlicht von den Gebrüdern Grimm, Aus dem Plattdeutschen von Uwe Johnson)
Es waren einmal ein Fischer und seine Frau, die lebten zusammen in einem Eimer, dicht an der See, und der Fischer ging alle Tage dorthin und angelte.
Da ging die Angel auf den Grund, tief nach unten, und als er sie heraufholte, zog er einen großen Plattfisch heraus. Da sagte der Plattfisch zu ihm: Hör mal Fischer. Ich bitte dich, lass mich leben. Ich bin ein verwünschter Prinz. Setz mich wieder in das Wasser, und lass mich schwimmen.
Na, sagte der Fischer, einen Plattfisch, der sprechen kann, hätte ich doch gewiss schwimmen lassen. Damit setzte er ihn in das klare Wasser zurück. Dann stand der Fischer auf und ging zu seiner Frau in den Eimer.
Vor über 200 Jahren schrieb Philipp Otto Runge das Märchen vom Fischer und seiner Frau, das anmutet wie eine prophetische Parabel unserer heutigen Welt.
1810, in Runges Todesjahr, wurde Europa von der Familie Napoleons beherrscht, Preußen leitete den Wandel vom absolutistischen Stände- und Agrarstaat zum aufgeklärten National- und Industriestaat ein.
Untertanen sollten zu Bürgern werden. Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt und 1810 wurde in Berlin die Humboldt-Universität gegründet.
Goethe veröffentlichte seine Farbenlehre, Caspar David Friedrich zeigte erstmals seinen „Mönch am Meer“, und Beethovens Musik zum Trauerspiel „Egmont“ sowie Kleists „Käthchen von Heilbronn“ wurden in Wien uraufgeführt. Mendelssohn, Chopin, Schumann, Liszt, Wagner und Verdi wurden in dieser Zeit geboren.
In Deutschland und in vielen europäischen Ländern herrschte Armut in einem Ausmaß, das wir uns heute nicht vorstellen können. Man ernährte sich von dem, was die Natur hervorbrachte, saisonal und regional würde man heute sagen, aber romantisch war das nicht – von der kargen Ernte waren hohe Abgaben zu entrichten, und wie man damals den Winter überstand, das mögen wir uns kaum ausmalen.
Der Fischer und seine Frau leben in einem Eimer. Im Gegensatz zum Fischer, der sein karges Leben klaglos annimmt, ja sogar zufrieden zu sein scheint, wie Diogenes in seiner Tonne, sehnt sich seine Frau nach einem besseren Leben.
Mann, sagte die Frau, hast du heute nichts gefangen?
Nein, sagte der Mann, ich habe eine Plattfisch gefangen, der sagte, er wäre ein verwünschter Prinz. da habe ich ihn wieder schwimmen lassen.
Hast du dir denn nichts gewünscht? fragte die Frau. Nein, sagte der Mann. Was sollte ich mir wünschen? Ach! sagte die Frau. Du hättest uns doch eine kleine Hütte wünschen können. Geh rasch hin und ruf ihn. Sag ihm, wir wollen eine kleine Hütte haben. Er tut das gewiss.
Der Mann wollte erst nicht recht, mochte aber auch nicht seiner Frau entgegen sein und ging an die See.
Als er da ankam, was das Meer ganz grün und gelb, und gar nicht mehr so klar. Er stellte sich hin und sagte:
Großer Plattfisch dort im Meer
Bitte, schwimme zu mir her!
Meine Frau, die Ilsebill,
Will nicht so, wie ich es will.
Da kam der Plattfisch angeschwommen und fragte: Na, was will sie denn?
Ach, sagte der Mann, Sie mag nicht mehr in dem Eimer wohnen, sie hätte gern eine Hütte.
Geh nur nach Hause, sagte der Plattfisch, sie hat sie schon.
Da ging der Mann nach Hause, und da stand eine kleine Hütte, und seine Frau saß auf einer Bank vor der Tür. in der Hütte war eine kleine prachtvolle Stube mit einer Kammer, wo ihrer beider Bett stand, und eine kleine Küche mit Speisekammer, und hinten war noch ein kleiner Garten mit Gemüse und Obstbäumen. Siehst du, sagte die Frau, ist das nicht hübsch?
Ja, sagte der Mann, so soll es bleiben. Nun wollen wir recht zufrieden leben!
Das wollen wir uns überlegen, sagte die Frau.
Ein Dach über dem Kopf und Nahrung aus dem eigenen Garten – bescheiden, aber ausreichend, so meint der Fischer. Aber nachdem der Plattfisch diesen Wunsch gewährt hat, ist die Gier der Frau entfesselt:
Nach vierzehn Tagen sagte die Frau: Der Plattfisch hätte uns gut und gern ein größeres Haus schenken können. Geh zum Plattfisch, er soll uns ein Schloss schenken.
Ach Frau, sagte der Mann, die Hütte ist doch gut genug, wozu sollen wir in einem Schloss wohnen!
Unsinn, sagte die Frau, er kann das ganz gut, und tut es gern, geh du nur hin!
Dem Mann ward das Herz ganz schwer, er ging aber doch hin.
Als er an die See kam, war das ganze Wasser violett und dunkelblau und grau und schlammig, gar nicht mehr so grün und gelb, aber es lag noch still. Er stellte sich hin und sagte:
Großer Plattfisch dort im Meer
Bitte, schwimme zu mir her!
Meine Frau, die Ilsebill,
Will nicht so, wie ich es will.
Na, was will sie denn? fragte dere Plattfisch.
Ach, sagte der Mann ziemlich betrübt, sie will in einem großen Schloss aus Stein wohnen.
Geh nur hin, sagte der Plattfisch, sie steht vor der Tür.
Da ging der Mann zurück, da stand ein großer steinerner Palast, und in dem Schloss war eine große Halle mit Marmorfliesen, und eine Menge Bediente, die rissen die hohen Türen auf, und die Wände glänzten und waren mit prächtigen Tapeten behangen, du in den Räumen standen lauter goldene Stühle und Tische, und kristallene Kronleuchter hingen an der Decke, und auf den Tischen stand Essen und der allerbeste Wein, als sollten sie gleich zusammenbrechen. Und hinter dem Haus war noch ein großer Hof mit Pferde- und Kuhställen und den prächtigsten Kutschen. Dazu gab es da einen großen, wunderbaren Garten mit den schönsten Blumen und erlesenen Obstbäumen, und einen Park von wenigstens einer halben Meile Länge, darin waren Hirsche und Rehe und Hasen und alles, was der Mensch sich nur wünschen kann. Na, sagte die Frau, ist das nun nicht schön?
Ach ja, sagte der Mann, und so soll es auch bleiben. In diesem schönen Schloss wollen wir denn wohnen, damit wollen wir zufrieden sein.
Das wollen wir uns überlegen, sagte die Frau.
Wir leben im Paradies! Alles, was wir benötigen, Kleidung, Nahrung, Wasser und Wärme, stehen uns zur Verfügung, jederzeit und unbegrenzt. Bei Schlossbesichtigungen stellen wir fest: Wir leben besser als Könige und Kaiser!
Im Winter erreichte man zu Runges Zeiten höchstens 15°, auch in Schlössern, und selbst die nur in ausgewählten Räumen. Es gab keine sanitären Einrichtungen, kein elektrisches Licht, von einer Auswahl an Lebensmitteln, wie wir sie in jedem Dorfladen finden, konnte man nicht einmal träumen, die Menschen starben an Krankheiten, die wir heutzutage fest im Griff haben, die Kindersterblichkeit war hoch, man war früh zahnlos und die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei 30 bis 35 Jahren. Es gab keine Krankenversicherung, keine bezahlten Urlaube, man reiste abenteuerlich und beschwerlich zu Pferd oder in Kutschen, und Kommunikation fand nur mittels Briefen statt, wohlgemerkt – auch bei Königen und Fürsten!
Am anderen Morgen sah die Frau das schöne Land vor sich liegen. Da sagte sie: Mann, hör mal, können wir nicht König werden über all dieses Land? Geh zum Plattfisch, ich will König sein.
Ach Frau, sagte der Mann, wozu wolltest du König sein? Der Mann war ganz betrübt. Er wollte nicht hingehen und ging dennoch.
Und als er an die See kam, war sie ganz dunkelgrau und schwarz und schlammig, und das Wasser gärte stark aus der Tiefe, dazu roch es ganz verfault. Da stellte er sich hin und sagte:
Großer Plattfisch dort im Meer
Bitte, schwimme zu mir her!
Meine Frau, die Ilsebill,
Will nicht so, wie ich es will. Na, was will sie denn? Sagte der Plattfisch.
Ach, sagte der Mann, sie will König werden.
Geh nur hin, sagte der Plattfisch, sie ist es schon.
Als der Mann bei dem Palast ankam, hatte das Schloss einen großen Turm mit prachtvollen Verzierungen, und Wachtposten standen vor dem Tor, und da waren Soldaten und Pauken und Trompeten in Mengen. Und als er in das Haus trat, war darin alles aus reinem Marmor und Gold, da hingen Samtdecken und dicke goldene Quasten. Dann öffneten sich die Türen des Saales, darin war der ganze Hofstaat, und seine Frau saß auf einem hohen Thron aus Gold und Diamanten, und sie trug eine große goldene Krone, und in der Hand hatte sie das Zepter aus purem Gold und Edelsteinen, und zu ihren beiden Seiten standen sechs Jungfrauen aufgereiht, eine immer um einen Kopf kleiner als die andere.
Da trat er vor und fragte: Ach, Frau, bist du jetzt König?
Ja, sagte die Frau, jetzt bin ich König. Da stand er und sah sie an, und als er sie so eine ganze Weile angesehen hatte, sagte er: Ach Frau! Wie gut steht es dir, König zu sein! Nun wollen wir uns auch nichts mehr wünschen.
König sein – Macht haben, bedient werden, sich alles leisten können, was man haben möchte – was für ein Luxus!
Auch das ist uns gelungen – „Ich, jetzt, alles“ ist das Motto unserer Tage. Die kleinste Unbequemlichkeit scheint eine unerträgliche Zumutung, es werden immer neue Wünsche geweckt, die immer schneller befriedigt werden müssen.
Ein Klick, und uns wird alles an die Haustür gebracht – Lebensmittel, Kleidung, Elektronik oder Möbel, dazu steht uns alles Wissen der Welt im Onlinelexikon kostenlos zur Verfügung. Musik, Bilder, Filme, Nachrichten, Software – alles ist jederzeit abrufbar – ohne Zeitverzögerung und kostenlos!
Ein Dilemma unserer Zeit: Würden alle ab sofort nur noch das kaufen, was sie wirklich benötigen, Handys und elektronische Geräte reparieren und sie nutzen, bis sie ihren Geist aufgeben, Autos fahren, bis sie verschrottet werden, würden sie nur noch Bahn und Fahrrad fahren, Kleidung flicken, bis sie zerschlissen ist, Möbel weitervererben und sich nur noch saisonal und regional ernähren – die Wirtschaft bräche sofort zusammen.
Würde niemand mehr in den Urlaub fliegen, wären auch die Urlaubsländer und ihre Bewohner in größter Not, und was würde aus Fluggesellschaften, Kreuzfahrtschiffen und Hotelketten?
Wir bewegen uns in einem unentrinnbaren Labyrinth aus Sackgassen.
Mann, sagte die Frau, geh zum Plattfisch. Ich bin König, nun muss ich auch Kaiser werden!
Ach Frau, sagte der Mann, Kaiser kann der Plattfisch doch nicht machen: das kann und kann er nicht.
Was? sagte die Frau, ich bin König, und du bist bloß mein Mann, geh auf der Stelle los! Kann er einen König machen, kann er auch Kaiser machen. Ich will und will Kaiser sein; geh auf der Stelle hin!
Da musste er gehen.
Damit kam er an die See. Da war sie ganz schwarz und dick und fing schon an, aus der Tiefe zu gären, dass sie Blasen warf, und ein Wirbelwind ging über sie hin, dass das Wasser sich drehte, und den Mann kam ein Grauen an. Er stellte sich hin und sagte:
Großer Plattfisch dort im Meer
Bitte, schwimme zu mir her!
Meine Frau, die Ilsebill,
Will nicht so, wie ich es will.
Na, was will sie denn? fragte der Plattfisch.
Ach, Plattfisch, sagte er, meine Frau will Kaiser werden.
Geh nur hin, sagte der Plattfisch, sie ist es schon.
Da ging der Mann zurück, und als er ankam, war das ganze Schloss aus poliertem Marmor und hatte alabasterne Statuen und goldene Verzierungen. Vor dem Tor marschierten die Soldaten, die bliesen Trompeten und paukten und trommelten; aber drinnen im Hause gingen die Barone und Grafen und Herzöge schlicht als Bedienstete umher, die machten ihm die Türen auf, die waren ganz und gar aus Gold. Und als er hereinkam, saß seine Frau auf einem Thron, der war aus einem einzigen Stück Gold und an die zwei Meilen hoch, und sie trug eine große goldene Krone, die war drei Ellen hoch und besetzt mit Brillanten und Karfunkelsteinen. In der einen Hand hielt sie das Zepter und in der anderen den Reichsapfel.
Der Mann stellte sich zwischen sie und fragte: Frau, bist du jetzt Kaiser?
Ja, sagte sie, ich bin Kaiser.
Er stand da und besah sie sich ausgiebig, und als er sie eine lange Weile angesehen hatte, sagte er: Ach Frau! Wie gut steht es dir, Kaiser zu sein.
Kaiser! Noch mehr Prunk, noch mehr Besitz, wie schwer mag eine drei Ellen hohe Krone wiegen, und was hat die Frau wohl von einem zwei Meilen hohen Thron? „Barone, Grafen und Herzöge“ als Bedienstete, Zepter und Reichsapfel!
Aber wozu möchte die Frau König oder Kaiser sein? Es geht nicht darum, Verantwortung oder Verpflichtungen zu übernehmen – nur darum, immer mehr zu haben, ohne mehr zu leisten, die Frau wünscht sich die Kaiserwürde nur aus Gier nach mehr, nicht um für die Menschen da zu sein.
Es bleibt keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn die neue Position genügt ihr kaum einen Augenblick:
Mann, sagte die Frau, Ich bin jetzt Kaiser, nun will ich aber auch Papst werden, geh zum Plattfisch. Ach Frau! sagte der Mann. Papst kannst du nicht werden, einen Papst gibt es nur einmal in der Christenheit, zum Papst kann er dich niemals machen.
Mann, was für ein Geschwätz! sagte die Frau. Kann er Kaiser machen, kann er auch eine Papst machen. Geh sogleich hin. Ich bin Kaiser, und du bist bloß mein Mann, willst du wohl hingehen?
Da wurde ihm angst, und er ging los.
Ein mächtiger Wind strich über das Land, und die Wolken flogen, als es gegen Abend dunkel wurde, die Blätter wurden von den Bäumen geweht, und das Wasser toste und brauste wie Schiffe, die schossen Notsignale und tanzten und sprangen auf den Wellen. Zwar war in der Mitte des Himmels noch ein kleiner blauer Fleck, aber an den Seiten zog es so rot herauf wie ein schweres Gewitter. Da stellte er sich recht verzagt auf in seiner Angst und sagte:
Großer Plattfisch dort im Meer
Bitte, schwimme zu mir her!
Meine Frau, die Ilsebill,
Will nicht so, wie ich es will.
Na, was will sie denn? sagte der Plattfisch.
Ach, sagte der Mann, sie will Papst werden.
Geh nur hin, sagte der Plattfisch, sie ist es schon.
Da ging der Mann zurück, und als er ankam, sah es aus wie eine mächtige Kirche, von nichts als Palästen umgeben. Er drängte sich durch das Volk, aber drinnen war alles mit tausend und abertausend Kerzen erleuchtet, und seine Frau war in lauteres Gold gekleidet und saß auf einem noch viel höheren Thron und hatte drei große goldene Kronen auf dem Kopf. Und um sie wimmelte es von geistlichen Würdenträgern, und alle die Kaiser und Könige lagen vor ihr auf den Knien und küssten ihr den Pantoffel.
Frau, sagte der Mann, und sah sie eindringlich an, bist du jetzt Papst?
Ja, sagte sie, ich bin Papst.
Er stand da und sah sie genau an; das war, als sähe er in die helle Sonne. Als er sie lange betrachtet hatte, sagte er: Ach Frau! Wie gut steht es dir, Papst zu sein!
Sie saß aber so steif wie ein Stück Holz, sie rührte und regte sich nicht.
Frau, sagte er, nun sei zufrieden. Nun bist du Papst. Mehr kannst du doch nicht werden.
Das will ich mir überlegen, sagte die Frau.
Wie zuvor, sind dem Mann die immer dreisteren Wünsche seiner Frau unheimlich, aber inzwischen ist er nur noch ein Untertan und muss seiner Frau gehorchen. Den Moment, in welchem er vielleicht hätte Widerstand leisten können, hat er verpasst.
Illustriert wird die ins Unermessliche gesteigerte Gier der Frau durch die Schilderung des Meeres, das bei der ersten Begegnung des Fischers mit dem Butt noch klar und friedlich ist, aber von Wunsch zu Wunsch wird es immer trüber, schlammiger, dunkler und wilder, bis am Ende ein so gewaltiger Sturm tobt und braust, dass der Fischer sich kaum auf den Beinen halten kann.
Damit gingen sie zu Bett, aber die Frau konnte überhaupt nicht einschlafen und warf sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere und dachte in einem fort darüber nach, was sie denn noch werden könnte, und nichts Größeres wollte ihr einfallen.
Als die Sonne eben aufgehen wollte, und sie das Morgenrot sah, setzte sie sich auf im Bett und starrte hinein, und als sie im Fenster sie Sonne heraufkommen sah, dachte sie: Ha! Könnte ich nicht auch die Sonne und den Mond aufgehen lassen?
Mann, sagte sie, und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen, wach auf, geh hin zum Plattfisch! Ich will werden wie der liebe Gott!
Der Mann war noch tief im Schlaf, aber er erschrak so, dass er aus dem Bett fiel. Er meinte, er hätte sich verhört, rieb sich die Augen und sagte: Ach Frau! Was hast du gesagt?
Mann, sagte sie, wenn ich nicht die Sonne und den Mond aufgehen lassen kann und es ansehen muss, wie die Sonne und der Mond aufgehen – ich kann das nicht aushalten. Ich habe keine ruhige Stunde mehr, wenn ich sie nicht selbst aufgehen lassen kann – dabei sah sie ihn so schrecklich an, dass ihn ein Schauer überlief – geh hin, ich will werden wie der liebe Gott.
Ach Frau! sagte der Mann und fiel vor ihr auf die Knie, das kann der Plattfisch nicht. Er kann den Kaiser und den Papst machen, aber ich bitte dich, geh in dich und bleibe Papst!
Was für ein prophetisches Abbild unserer Konsumgesellschaft, unserer Zeit im Klimawandel!
Wir wollen Gott sein, von der Zeugung bis zum Tod – von Kinderwunschbehandlung, Gentechnik, Pränataldiagnostik oder Abtreibung bis zu „lebenserhaltenden“ Maßnahmen mit Hilfe von Herz-Lungen-Maschinen. Wir „brauchen“ ein neues Herz, Leber oder Niere und definieren den Hirntod als Zeitpunkt, an welchem wir Sterbenden ihre Organe entnehmen können, wir leisten Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid. Das Geschlecht ist ver- und behandelbar.
Das Denken wird ausgelagert. Wir bauen künstliche Gehirne, überlassen Google das Übersetzen, Navigationssystemen die Orientierung, Apparaten das Rechnen, der KI das Schreiben und Gestalten. Wir liefern unsere Kinder den elektronischen Medien aus, schieben Kinderwagen mit dem Handy in der Hand und Knopf im Ohr. Dreijährige können Smartphones bedienen, dafür schicken wir sie zur Logopädie und Ergotherapie, weil sie weder sprechen noch rückwärts laufen können, geschweige denn später lesen und rechnen – wozu auch – die KI wird ihnen das alles abnehmen.
Die Welt haben wir erobert und gezeichnet, von Mikroplastik im Marianengraben bis zum Müll auf dem Mount Everest. Wir gestatten der Natur in eigens dafür eingerichteten Gebieten, sich fest umrissene Bereiche zurückzuholen, das nennen wir dann Umweltschutz.
Es sind sympathische, normale Menschen, die die Welt zerstören. Jeder von uns beteiligt sich daran. Daher möchten wir niemanden verurteilen oder kränken, denn wir verstehen sie alle: die erschöpften Familien, die ihren wohlverdienten Urlaub auf einer Insel im Süden verbringen, und die Supermarktkassiererin, die sich am Mittelmeer erholt. Den Rentner, der im Ruhestand endlich die Welt entdecken möchte, und die jungen Leute, die per Schüleraustausch nach Kanada reisen. Das Paar, das eine Fernbeziehung führt und Verwandte, die über die ganze Welt verteilt leben. Die reizenden Nachbarn mit dem SUV und die alte Dame, allein im viel zu großen Haus, sogar den Piloten mit Ferienhaus auf Mallorca.
Die Welt ist groß und spannend, es gibt unfassbar viel Schönes zu entdecken, und Völkerverständigung ist so wichtig! Wir freuen uns also, dass Jugendchöre für Konzerte und Begegnungen in exotische Länder fliegen, wir bewundern Künstler*innen, die weltweit auftreten, und Sportler, die sich in internationalen Wettbewerben messen, und wir verstehen ihre Fans, die ihnen zujubeln möchten. Fliegen müssen Journalisten, Forscher und Geschäftsreisende, und natürlich die Politiker mit großer Entourage, 70 000 Leute fliegen zum Klimagipfel nach Dubai, unter ihnen 2500 Lobbyisten, vor allem der Ölindustrie. Sie meinen, sie könnten den Temperaturanstieg begrenzen, allerdings bitte ohne jede Einschränkung oder Zumutung für die Bürger! Wir sind schließlich Wähler!
Dürre- und Temperaturmeldungen jagen von Rekord zu Rekord – gefühlte 58° in Brasilien, der Amazonas trocknet aus, 1000 Pilger sterben auf ihrer Wallfahrt nach Mekka, Spanien meldet 45° im Schatten, in 10cm Tiefe noch 42°, da verdorrt die Flora, die Stromversorgung bricht unter der Last der Klimaanlagen zusammen. Waldbrände wüten im Mittelmeerraum und auf Hawaii und stoßen dabei unfassbare Mengen an CO² aus, der Smog der kanadischen Brände vernebelt New York und Washington.
Der arktische Permafrostboden setzt Methan frei, die Ozeane erwärmen sich, Stürme werden heftiger, Überschwemmungen treffen Norwegen und Slowenien, ein Drittel der Fläche Pakistans steht unter Wasser, ja, auch das Ahrtal.
Man verzeichnet den wärmsten Oktober seit 125 000 Jahren, jeder einzelne Monat stellt einen neuen globalen Wärmerekord seit Beginn der Aufzeichnungen auf. Es scheint, als sei der Kipppunkt schon überschritten.
Inselvölker bangen um ihre Existenz, die bewohnbaren Zonen der Erde schrumpfen immer weiter zusammen. Die Außengrenzen Europas werden bestürmt von Menschen, deren Heimatländer aus der bewohnbaren Nische rutschen. Bis 2030 rechnet man mit 140 Millionen Klimaflüchtlingen.
Europa radikalisiert sich von Wahl zu Wahl, von Land zu Land und will seine Grenzen schließen.
Man will seinen Wohlstand nicht mit Flüchtenden teilen, sie sind aber herzlich willkommen, uns den Hintern abzuwischen – für 12,41 € pro Stunde, oder dürfen es ein paar Cents mehr sein? Und wenn sie Klempner oder IT-Spezialisten sind – nur hereinspaziert!
Nordeuropa ist die Arche des 21. Jahrhunderts, aber im Gegensatz zu Noah sind wir nicht diejenigen, die sich vorbildlich verhalten haben, sondern die Verursacher der Katastrophe. Aber wie Noah entscheiden wir, wen wir brauchen und wen wir aussortieren.
Und was tut die Gesellschaft? Man klagt im Frühjahr über mangelnden Schnee in den Skigebieten und sorgt sich um die Winterspiele 2029, die in Saudi-Arabien stattfinden sollen, ernsthaft!
Touristen schwitzen bei 40° am Mittelmeer und ziehen sich wie die Heuschrecken aus den im wahrsten Sinne des Wortes verwüsteten Gebieten zurück – im nächsten Jahr plant man Urlaub in Skandinavien!
Die ZEIT bietet Reisen in die „letzten Naturparadiese der Erde“ an, man fliegt in die Arktis, um die Gletscher zu bestaunen, bevor sie verschwinden, und postet stolz Photos der letzten Eisbären, deren Lebensraum man mit seiner Lebensweise zerstört.
Zu Hause jammert man, dass man im Juli aufgrund des Regens die mit 20 000 Litern Trinkwasser gefüllten Pools nicht nutzen kann. Man leistet sich Gasgrills für 2000€ und freut sich über Gartenpartys im Oktober, aber Biofleisch ist zu teuer
– man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte!
Da wurde sie sehr böse, die Haare flogen ihr wild um den Kopf, sie riss sich das Leibchen auf, sie stieß mit dem Fuß nach ihm und schrie: Ich halte das nicht aus, ich halte das nicht länger aus, willst du wohl hingehen?
Da zog er die Hosen an und lief weg wie ein Wahnsinniger. Draußen aber tobte und brauste der Sturm, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Die Häuser und die Bäume wurden umgeweht, und die Berge bebten, und die Felsbrocken stürzten in die See, und der ganze Himmel wurde pechschwarz, und es donnerte und blitzte, und die See warf schwarze Wellen so hoch wie Kirchtürme und Gebirge, die hatten alle eine weiße Schaumkrone obenauf – da schrie er, und er konnte sein eigenes Wort nicht hören:
Großer Plattfisch dort im Meer
Bitte, schwimme zu mir her!
Meine Frau, die Ilsebill,
Will nicht so, wie ich es will.
Na, was will sie denn? fragte der Plattfisch.
Ach, sagte er – sie will werden wie der liebe Gott.
Geh nur hin, sie ist schon wieder im Eimer.
Darin sitzen sie noch heute, bis auf diesen Tag.
Die Apokalypse kündigt sich an, und trotzdem schreit der Fischer die Forderung seiner Frau in das Getöse hinein.
Auch unsere Welt ist bald im Eimer. Der Drang, immer mehr haben zu wollen und dafür immer weniger tun zu müssen, ist nicht einzudämmen.
Je eindeutiger der Zusammenhang zwischen unserem Verhalten und dem Klimawandel dokumentiert wird, je deutlicher sich die Folgen zeigen, desto aggressiver werden die Verkünder der Botschaft als Spaßbremsen angegriffen, man unterstellt ihnen ein Diktat von Verboten und macht trotzig weiter wie bisher.
Das eigene Versagen kaschiert man mit ein bisschen Kosmetik – man verzichtet auf die eine oder andere Plastiktüte und wer es sich leisten kann, kauft E-Autos oder Lastenräder, aber dann „fährt“ man doch wieder nach Spanien.
Fridays for future hat aufgegeben, die Letzte Generation schadet ihrem Anliegen eher, statt etwas zu bewirken. Die jungen Leute werden in digitalen Parallelwelten ruhiggestellt, oder sie flüchten in Depressionen.
Sehenden Auges rasen wir mit Vollgas in eine Sackgasse und wollen nicht wahrhaben, dass am Ende wirklich eine Mauer steht.
Ein Liederzyklus „Vom Sterben der Natur“, den ich sang, mündet in ein erschütterndes Gedicht von Reiner Kunze:
Unter sterbenden Bäumen (1983!!)
Wir haben die erde gekränkt, sie nimmt ihre wunder zurück.
Wir, der wunder
eines