12. Juni 2025
Ja, liebe Mimi, jetzt hast Du es geschafft – nach mehr als 64 gemeinsamen Jahren hat Dein Klaus Dich auf Deine letzte Reise geleitet! Wir alle sind dankbar, dass Du am Ende so friedlich gehen konntest, und dass wir Dich dabei begleiten durften.
Anlässlich Deines 70. Geburtstages habe ich darüber nachgedacht, was ich eigentlich von Dir weiß, und ich habe ein paar biographische Anekdoten zusammengetragen, die Du danach immer wieder herausgeholt hast. Es hat mich sehr berührt, dass ich Dich damit im ganz positiven Sinn so getroffen habe – deshalb möchte ich sie hier noch einmal erzählen.
Geboren wurdest Du am 2. Februar 1939, kurz vor Kriegsausbruch. Eure Mutter hat von 1936 bis 1942 sechs Kinder geboren, von denen zwei früh starben. Als das jüngste Kind Karl-Heinz zur Welt kam, war Euer Vater schon in Kriegsgefangenschaft, und dann wurdet Ihr auch noch ausgebombt.
Es ist unvorstellbar, was Eure Mutter damals durchmachen musste, allein mit vier Kindern, erst bei Verwandten in Wolbrechtshausen, dann in Rotenburg an der Wümme, aber ein Ordner mit Briefen zeugt davon, wie übermenschlich tapfer und unerschütterlich liebevoll sie Euch und auch ihren Otto in dieser Zeit betreut hat.
1946 kam Euer Vater zurück, und 1948 komplettierte das Friedenskind Gerhard die Familie.
Bei Oma und Opa in Rotenburg an der Wümme haben wir als Kinder oft und gern unsere Ferien verbracht. Erst viel später wurde uns die Primitivität dort bewusst – das Plumpsklo, im Sommer von Fliegen besetzt, die in Schwärmen unter dem Deckel hervorkamen, morgens eine Schüssel mit Wasser im Waschbecken, Oma und Opa durften zuerst, dann waren wir an der Reihe, zwei Waschlappen, ein dunkler „für unten“, ein heller „für oben“, und danach wurde das Wasser an die Blumen gegossen, damit ja nichts „umkam“.
Zu Zeiten Eurer Kindheit diente der große Garten der Versorgung der Familie. Alle mussten selbstverständlich mit anpacken. Wer beim Lesen erwischt wurde, wurde mit den Worten „Ich kann auch nicht lesen!“ zu seinen Aufgaben zurückgescheucht. Dennoch war die Familie durchaus musisch – mit Deinen Schwestern hast Du beim Abwaschen dreistimmig gesungen, wobei Du natürlich die höchste Stimme gesungen hast, und noch vor zwei Jahren haben wir gemeinsam mit Irmtraut und Theresa dreistimmig „Die Gedanken sind frei“ gesungen.
Als Lieblingskind Deiner Großmutter bist Du nach dem Tod des Opas zu Deiner Oma gezogen. Ein paar Jahre lang konntest Du dort wie eine kleine Prinzessin leben, aber Deine Oma hatte Asthma. Immer wieder hast Du erzählt, wie Deine Oma in Deinen Armen starb, wie Du als zwölfjähriges Mädchen mitten in der Nacht allein durch Rotenburg gelaufen bist, und wie man Dich auf Dein verzweifeltes Klopfen hin mit einem wütenden „Wer ist denn da?“ empfing.
Deine Zeit als Prinzessin war damit vorbei, Du kamst zurück in die Großfamilie.
In dieser Zeit hast Du Überlebenstechniken gelernt.
Erziehung bedeutete Prügel! Die tapfere Margot biss die Zähne zusammen, um nicht zu weinen, aber Du hast schon vorher so laut geschrien, dass es Deinen Eltern peinlich war vor den Nachbarn, so kamst Du weitgehend um Schläge herum…
Als hübscheste der Töchter wolltest Du Dich gern schminken und Seidenstrümpfe tragen, aber Deine Mutter verbot es Dir – „Mach das ab!“ war die Anordnung, also bist Du in den nächsten Hauseingang geflüchtet und hast Dich dort wieder zurechtgemacht.
Nach der Schule bist Du als Au-Pair-Mädchen nach Schweden und Frankreich gegangen, und dann hast Du als Krankenschwester in Barmbek gearbeitet.
Euer Kennenlernen hat Papa an Deinem 70. Geburtstag so beschrieben:
„Am 14. November 1960 ist ein Erdbeben durch mein Leben gegangen, und das hat bis heute nicht aufgehört!“
Ja, dieser schicksalhafte Tag! Du warst auf dem Weg ins Schauspielhaus, aber um den Hauptbahnhof herum waren die Straßen aufgerissen, und Du hattest Dich verlaufen, also hast Du einen jungen Mann nach dem Weg gefragt.
Diesen schüchternen jungen Mann muss der Blitz getroffen haben, und in einem einzigartigen Anfall von Geistesgegenwart ergriff er die Gelegenheit:
Den Anfang des Theaterstücks, den Totentanz von Strindberg, hattest Du verpasst, aber da der junge Mann das Stück kannte, schlug er vor, Dir bei einer Tasse Kaffee den ersten Teil zu erzählen und Dich zur Pause zum Schauspielhaus zu bringen.
So geschah es, und während des gesamten zweiten Teils hast Du überlegt, was Du dem jungen Mann sagen wolltest, wenn er nach der Vorstellung am Ausgang stünde, um Dich abzuholen – aber dort stand kein junger Mann.
Ganz so stürmisch war unser Klaus dann eben doch nicht, aber nach einigen Tagen Bedenkzeit stand er im grauen Arbeitskittel im Barmbeker Krankenhaus und ließ sich alle „Schwestern Hannelore“ vorführen – er habe eine Lieferung für sie, worauf man ihm sagte: „Ach, da wird öfter nach gefragt!“
Der Rest ist Legende – Hochzeit am 8.8.64, 1965 und 1966 die Kinder.
Als Du merktest, dass Du schwanger warst, hattest Du gerade eine umfangreiche Zahnbehandlung begonnen. Aus Sorge, Deinem ungeborenen Kind, also mir, zu schaden, man schrieb wie gesagt das Jahr 1965, kurz nach Contergan, hast Du die Behandlung ohne Betäubung ausgehalten – Du hast erzählt, die Tränen seien Dir nur so über die Wangen gelaufen, aber Du hast die ganze Zeit an das Kind in Deinem Bauch gedacht!
Gemeinsam habt Ihr mit unermüdlichem Fleiß die verschuldete Firma Wilhelm Albers aus den roten Zahlen geholt und sie zu einem erfolgreichen Betrieb gemacht!
Aus der Dachwohnung am Grindelberg seid Ihr in eine wunderschöne Jugendstilwohnung in der Flemingstraße gezogen, die Du mit gutem Geschmack und handwerklichem Geschick immer wieder neu gestaltet hast – sogar die 3,40m hohen Wände und Zimmerdecken hast Du mit den damals modernen Blumengirlanden Kante auf Kante und Muster an Muster ganz allein tapeziert!
Der Wohnwagen an der Ostsee, dann der Bungalow in Rettin, schließlich die Villa in der Kaiserallee in Travemünde – Die Kombination aus Klaus‘ Können und Deinem Charme hat Euch weit gebracht!
Dein geliebter Sohn Peter hat eine großartige Karriere als Pilot gemacht, und ich habe gesungen und dafür gesorgt, dass die Albers‘ und Schwisows nicht aussterben. Du warst eine begeisterte, phantasievolle Großmutter – Theresa war Dein Ein und Alles! Schwimmen, Hagenbeck, Travemünde, gern auch mit ihren Freundinnen dabei! Aber auch mit Mathis hast Du viel Spaß gehabt!
Mit den Enkeln warst Du wie Astrid Lindgren, deren Sohn schrieb, seine Mutter habe nie am Rand der Sandkiste gesessen – sie wollte immer mitspielen. Und so höre ich noch, wie Du mit Mathis gespielt hast: „Ich backe Dir einen kleinen Freund!“, oder ich sehe Dich mit einer Schüssel voller Schneebälle vor unserer Tür stehen – darin hattest Du lauter kleine Überraschungen versteckt, und Mathis sollte eine Schneeballschlacht mit Dir machen!
Nie warst Du so wie andere – nicht wie andere Frauen, nicht wie andere Mütter oder Großmütter! Dein Klaus hat in einem Zeitungsartikel über Liebe im Alter gesagt (ja, Ihr habt es sogar in die Hörzu geschafft): „Meine Frau ist unberechenbar! Das hält mich jung und am Leben!“
Als Mutter war es Dir wichtig, weiterhin begehrenswert zu sein. Mütter, denen man ansah, dass sie Hausfrauen waren, womöglich noch im Kittel, waren Dir ein Graus, aber Du sahst sogar mit Schürze noch attraktiv aus!
Mit Peters Freunden hast Du gemütlich rauchend und Sekt trinkend in der Küche gesessen, und unterwegs mit Theresa hat man Dich für ihre Mutter gehalten.
Eine alte Frau bist Du nie gewesen – sogar als es Dir in den letzten Jahren gesundheitlich nicht mehr so gut ging, warst Du eine hübsche kleine Prinzessin, der man jeden Wunsch erfüllte, und die von allen, vor allem von ihrem Klaus, verwöhnt wurde. Du warst und bleibst sein Lebensinhalt!
Du bist Dir immer treu geblieben mit Deinem Temperament, Deiner Phantasie, Deiner Beweglichkeit und Deinem mitreißenden Charme.
Wenn Du etwas durchsetzen wolltest, warst Du in Deinem Element, dann hast Du alle und alles mobilisiert, da kanntest Du keine Grenzen! Einmal habe ich zu Dir gesagt: „Ach Mimi, der Streit lohnt sich doch nicht!“ – Deine Antwort kam prompt, mit leuchtenden Augen: „Doch, jeder Streit lohnt sich!“
Und Du hast auch wirklich immer gewonnen – das war beeindruckend, aber wer auf der anderen Seite stand, hatte keine Chance…
Vor achteinhalb Jahren hatten wir berechtigte Sorge, Dich zu verlieren, aber Du kleine Kämpferin hast dem Leben noch mehr als acht schöne Jahre abgetrotzt. Vor allem Deinem Klaus hast Du es zu verdanken, dass Du so lange noch so viel Lebensqualität hattest! Sein ganzes Denken kreiste um Dich und darum, was Dir gut tun und Freude machen könnte. Jeden Abend hat er für Dich Klavier gespielt, und Du hast mit klarer Stimme und textsicher mitgesungen, obwohl Dein Gedächtnis schon geschwächt war.
Ununterbrochen hast Du den „schönsten und besten und klügsten Mann von der ganzen Welt“ gepriesen, bis Papa meinte, wenn er jedes Mal 50 Cent für diesen Satz bekäme, wäre er bald ein reicher Mann.
„Mein Klaus, mein Leben“ hast Du immer wieder gesagt, und umgekehrt galt das genauso. Auch wenn Dein Klaus das nicht in gleichem Umfang verbal geäußert hat – er hat es Dir durch seine Fürsorge bewiesen.
Dein Sturz Anfang Mai hat dann leider doch das Ende eingeleitet, aber bis ganz zum Schluss warst Du voller Dankbarkeit. Noch in den letzten Wochen im Krankenhaus hast Du die Herzen aller um Dich herum erobert mit Deinen Komplimenten und mit Deiner Tapferkeit. Wann immer man Dich fragte, wie es Dir gehe, hast Du: „Alles wunderbar!“ gesagt.
Das letzte, was man noch von Dir verstehen konnte, war „Danke, Danke, Danke“, als Peter sich verabschiedete und Dir gute Nacht wünschte, und, als Du kaum noch artikulieren konntest, konnte ich noch „mein Klaus!“ hören.
In Deiner unnachahmlichen Art hast Du gekämpft bis zum Schluss, aber dieser letzte Gegner war dann doch zu stark für Dich.
Dennoch bist Du buchstäblich bis zum letzten Atemzug konsequent Deinen Weg gegangen: In dem Bewusstsein, dass Du dabei warst, Dich zu verabschieden, kam ich abends noch ins Krankenhaus, und als ich dir Tür öffnete, kam mir Dein Klaus entgegen – da hattest Du gerade aufgehört zu atmen.
Das hast Du so gut gemacht! Diesen Moment habt Ihr beide für Euch gehabt, aber Du hast dafür gesorgt, dass Dein Klaus danach nicht allein sein musste, daran glaube ich ganz fest, und jeder, der sich mit dem Sterben befasst, wird es bestätigen.
Ja, liebe Hanni, liebe Mimi, Du kleines Erdbeben, nun hast Du es geschafft!
Wir sind dankbar für alles, was Du für uns getan hast, und dass wir Dich auf Deinem letzten Weg begleiten durften. Misch den Himmel nun ein bisschen auf da oben, pass als Schutzengel auf Deinen Klaus auf, und nimm uns alle liebevoll in Empfang, wenn es eines Tages soweit sein wird!